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Rede zur Lage der Union 2012

Rede zur Lage der Union 2012: EU-Kommissionspräsident Barroso fordert einen Bund der Nationalstaaten und kündigt Vorschläge für eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion an

In seiner jährlichen Rede zur Lage der Union forderte der Präsident der Europäischen Kommission zu einer neuen Ausrichtung und zu einer neuen Denkweise für Europa auf.

Barroso skizzierte den Weg zu mehr europäischer Einigung, um die Krise zu überwinden und die Souveränität in einer globalisierten Welt zu bewahren. „Die Globalisierung erfordert eine größere Einheit. Eine größere Einheit erfordert eine stärkere Integration. Und eine stärkere Integration erfordert mehr Demokratie“, betonte der Präsident.

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Er stellte dem Europäischen Parlament eine „grundlegende Modernisierung Europas” vor – um unsere Werte, unsere Freiheit und unseren Wohlstand in die Zukunft einer globalisierten Welt zu übertragen. Diese grundlegende Modernisierung wäre ein Ausdruck der Entschlossenheit Europas, gemeinsam Reformen durchzuführen, die Integrität der Union zu erhalten und klarzumachen, dass der Euro unumkehrbar ist. Diese grundlegende Modernisierung „setzt eine enge und echte Wirtschafts- und Währungsunion auf der Grundlage einer politischen Union voraus.“

Barroso hob die Bedeutung von Fairness und Gerechtigkeit bei der Bewältigung der Krise hervor und kündigte an, dass die Kommission noch vor Jahresende ein „Jugendpaket“ mit einer Garantieregelung für junge Menschen und einem guten Rahmen zur Förderung der beruflichen Bildung auf den Weg bringen werde. „Fairness und Gerechtigkeit“, so Barroso, „bedeutet auch, dass bessere und gerechtere Steuersysteme geschaffen werden. Die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerumgehung könnte für weitere Milliarden in den öffentlichen Haushalten ganz Europas sorgen. Deshalb wird die Kommission für eine Einigung über die geänderte Zinsertragsrichtlinie und für Mandate kämpfen, um mit Drittländern verbindliche Abkommen über die Besteuerung von Zinserträgen auszuhandeln."

Zur Finanztransaktionssteuer erklärte Präsident Barroso: „Das ist eine Frage der Fairness. Und die Kommission wird weiterhin für eine angemessene und weitreichende Finanztransaktionssteuer kämpfen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um mit den Mitgliedstaaten, die hierzu bereit sind, rasch und effektiv voranzukommen.“

Er forderte auch alle pro-europäischen Kräfte auf, „nun geschlossen für den richtigen mehrjährigen Finanzrahmen einzutreten, der uns bis 2020 begleitet. Dies wird ein wahrer Prüfstein für die Glaubwürdigkeit vieler unserer Mitgliedstaaten sein. Ich möchte sehen, ob dieselben Mitgliedstaaten, die fortwährend von Investitionen und Wachstum sprechen, jetzt bereit sind, einen Haushalt für mehr Wachstum auf europäischer Ebene mit zu tragen.“

Anschließend stellte Präsident Barroso die Vorschläge der Kommission für eine europaweite Bankenaufsicht als einen Schritt in Richtung auf eine Bankenunion vor. Er erläuterte die weiteren Schritte, zu denen die Kommission noch in diesem Herbst ein Konzept für eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion veröffentlichen werde: „Es gibt jedoch noch ein zweites Element einer engeren wirtschaftlichen Union – den Übergang zu einer Fiskalunion. Wir brauchen einen stärkeren und verbindlicheren Rahmen für die nationalen Entscheidungsprozesse bei wichtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, da nur so Ungleichgewichte verhindert werden können. Um dauerhafte Ergebnisse zu erzielen, müssen wir eine umfassende gemeinschaftliche wirtschaftspolitische Steuerung mit einer echten, glaubwürdigen fiskalischen Kapazität der Gemeinschaft entwickeln.  Wir brauchen dafür keine gesonderten oder neuen Organe. Ganz im Gegenteil: Der beste Weg, um dies wirksam und schnell zu erreichen, ist die Zusammenarbeit der bestehenden Organe.“

Was die Rolle der Europäischen Zentralbank anbelangt, so äußerte Barroso die Überzeugung, dass es im Rahmen des Mandats der EZB liege, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Integrität der Geldpolitik wiederherzustellen, wenn die geldpolitischen Stellschrauben nicht richtig funktionieren.

Barroso forderte eindringlich dazu auf, einen europäischen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem europäische Themen von einem europäischen Standpunkt aus diskutiert und debattiert werden. „Wir dürfen nicht länger versuchen, europäische Probleme nur mit nationalen Lösungen zu bewältigen“, erklärte Barroso.
Er betonte, dass die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt werden müsse und dass das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente tatsächlich zusammenarbeiten und sich einander ergänzen. In diesem Zusammenhang erinnerte er an den Vorschlag der Kommission vom selben Tag für ein solideres europäisches Parteienstatut.

Mit Blick auf die Europawahlen 2014 schlug Barroso  vor: „Die europaweite politische Debatte könnte entscheidend vorangebracht werden, wenn die europäischen Parteien bei den Europawahlen 2014 ihren eigenen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten nominieren würden. Dies wäre ein entscheidender Schritt, um die europäische Dimension, die diesen Wahlen innewohnt, noch stärker zu unterstreichen. Ich bitte die politischen Parteien um Unterstützung bei diesem Vorhaben, die Europawahlen stärker europäisch auszurichten.“
Barroso fuhr fort mit einem eindringlichen Appell: „Wir müssen die Europawahlen im Jahr  2014 dazu nutzen, alle pro-europäischen Kräfte zu mobilisieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Populisten und Nationalisten eine negative Agenda vorgeben. Daher würde ich mir wünschen, dass jeder, der sich für einen „echten“ Europäer hält, in dieser Debatte das Wort ergreift. Denn noch gefährlicher als die Skepsis der Europa-Gegner ist die Gleichgültigkeit oder der Pessimismus der Europa-Befürworter.“

Präsident Barroso betonte auch, dass ein entschiedeneres Eintreten für unsere grundlegenden Werte notwendig sei und dass eine echte politische Europäische Union  bedeute, dass „wir EU-Maßnahmen auf die zentralen Themen ausrichten müssen, die auf europäischer Ebene anzugehen sind. Im Klartext heißt das: Nicht alles kann gleichzeitig Priorität haben.“  

Zur Rolle der Europäischen Union auf der Weltbühne wiederholte Präsident Barroso seine Überzeugung, dass „geteilte Souveränität in Europa mehr Souveränität auf globaler Ebene bedeutet. In unserer heutigen Welt zählt die Größe. Was aber den entscheidenden Unterschied ausmacht, sind die Werte.“

Zur Lage in Syrien meinte der Präsident: „Die dramatische Lage in Syrien führt uns vor Augen, dass wir es uns nicht leisten können, tatenlos zuzusehen. Es muss ein neues demokratisches Syrien entstehen. Es liegt in unser aller Verantwortung, dies zu verwirklichen.“  

Zum Abschluss seiner Rede forderte Barroso einen Bund von Nationalstaaten und erklärte: „Wir sollten nicht davor zurückschrecken, es deutlich zu sagen: Wir müssen den Weg zu einem Bund der Nationalstaaten gehen. Mit diesem Bund der Nationalstaaten meine ich keineswegs einen Superstaat, sondern eine demokratische Staatenföderation, die unsere gemeinsamen Probleme mittels der gemeinsamen Ausübung von Souveränität so bewältigen kann, dass jedes einzelne Land und jeder einzelne Bürger besser in der Lage ist, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Es geht um eine Union mit den Mitgliedstaaten, nicht gegen die Mitgliedstaaten.“ Zu der Frage, ob Vertragsänderungen notwendig sind oder nicht, räumte Barroso ein, er sei sich sehr wohl bewusst, wie schwierig Vertragsänderungen seien und dass sie sehr gut vorbereitet werden müssten. Aber „über die Diskussionen über eine Änderung der Verträge dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren oder aufschieben, was bereits heute getan werden kann  - und muss. Eine enge und echte Wirtschafts- und Währungsunion kann schon auf der Grundlage der geltenden Verträge in Angriff genommen werden. Aber erst durch eine Änderung der Verträge kann sie auch vollendet werden."

Abschließend rief Präsident Barroso dazu auf, für die Einheit der EU und die Anwendung der Gemeinschaftsmethode zu arbeiten. „Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Wir brauchen in Europa keine Mauern mehr, die uns trennen! Wir werden uns an den Grundsatz halten, dass eine Vertiefung der Integration nicht nur für einen begrenzten Kreis von Mitgliedstaaten ist. Es soll niemand gezwungen werden, den Weg mitzugehen. Ebenso wenig wollen wir Länder ausschließen. Jedoch bestimmt nicht der langsamste oder widerwilligste Akteur, wie schnell wir vorgehen. In ihrer Gesamtheit ist die Europäische Union stärker – mit einem umfassenden Binnenmarkt, ihren Mitgliedern und ihren Institutionen.“